
Experte: Trend zu autonomen Fabriken
Karlheinz Zuerl, CEO German Technology & Engineering Corporation: „Während in Europa noch Industrie 4.0 angesagt ist, rüstet sich Asien schon für Industrie 5.0 – autonom statt nur vernetzt.“
Autonome Fabriken sind in Asien auf dem Vormarsch und werden sich in den nächsten Jahren mit Verzögerung auch in Europa ausbreiten, ist Karlheinz Zuerl, CEO der German Technology & Engineering Corporation (GTEC), überzeugt. Er erklärt: „Europa rühmt sich gerne der Fortschritte beim Thema Industrie 4.0, aber Asien ist längst darüber hinaus auf dem Weg zur Industrie 5.0.“ Darunter versteht der GTEC-Chef menschenleere Produktionshallen, in denen ausschließlich Roboter aktiv sind. Möglich werden die „Geister-Fabriken“ durch die Kombination aus Computertechnik, Vernetzung, Künstlicher Intelligenz, Robotik und neuartigen Fertigungsverfahren.
„Europa redet sich Industrie 4.0 schön“
Karlheinz Zuerl verweist auf den aktuellen „World Robotics-Report 2024“ der International Federation of Robotics (IFR), der Zahlen für 2023 nennt. Demnach arbeiten weltweit beinahe 4,3 Millionen Industrieroboter in Fabriken, ein historischer Höchststand. Im Jahr 2023 wurden mehr als 540.000 neue Roboter installiert, über die Hälfte davon (51 Prozent) in China. Auf Europa entfielen nur 17 Prozent aller Neuinstallationen. In Deutschland, dem laut IFR größten europäischen Markt für Industrieroboter, war ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von lediglich 7 Prozent zu verzeichnen.
Nach Einschätzung des CEO der German Technology & Engineering Corporation besteht „in Europa und vor allem in Deutschland die Neigung, sich die Industrie 4.0 mit wenig aussagekräftigen Zahlen schönzureden.“ So sei in Studien der Branchenverbände Bitkom und VDMA die Rede davon, dass etwa 65 Prozent der Unternehmen in Deutschland Industrie‑4.0‑Technologien nutzten. „Das klingt gut, ist aber völlig belanglos, weil jedes Gerät mit WLAN-Anschluss dazugezählt wird“, sagt Karlheinz Zuerl.
BMW ist 4.0, Tesla 5.0, China über 4.5
Es sei bezeichnend, dass das BMW-Werk in Dingolfing als Stolz der deutschen Autoindustrie gelte, weil dort seit 2024 fertig produzierte Autos ohne Fahrer zur Qualitätskontrolle fahren. „Das Ganze funktioniert aber nur mit einer speziellen externen Sensorik entlang der Strecke und bedeutet nicht, dass die Fahrzeuge selbst autonome Fahreigenschaften aufweisen“, sagt Karlheinz Zuerl. „Es ist nicht vergleichbar mit der Tesla-Fabrik im kalifornischen Fremont, wo die Wagen die Strecke von der Produktionslinie zum Logistikgelände völlig selbstständig – also ohne externe Unterstützung – zurück¬¬legen. BMW ist auf dem Stand 4.0, Tesla bei 5.0. Viele chinesische Hersteller liegen in diesem Szenario bei 4.5 oder besser.“
Der Abstand wird sich zuungunsten Deutschlands weiter verschlechtern, befürchtet GTEC-Chef Karlheinz Zuerl. Er verweist darauf, dass der VDMA für 2025 ein schwaches Jahr für Roboter¬installationen prognostiziert. Für 2026 besteht laut Verbandsangaben Hoffnung auf eine leichte Erholung.
Run auf digitale Produktionszwillinge in Asien
„Derweil erleben wir in Asien geradezu einen Run auf ‚Autonomous Production Twins‘, kurz APT oder digitale Zwillinge, in der Fertigungsindustrie, um Produktionsprozesse autonom zu überwachen, zu steuern und zu optimieren“, berichtet Karlheinz Zuerl. Ein APT kombiniert Echtzeitdaten, Künstliche Intelligenz und fortschrittliche Vernetzung, um eine virtuelle Repräsentation des Produktionssystems zu schaffen, die selbstständig Entscheidungen treffen und Prozesse anpassen kann. „Ein autonomer Produktionszwilling kann Fertigungsprozesse aktiv steuern und auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren, etwa durch Umplanung bei Materialengpässen“, schildert der GTEC-Chef, was in Asien in immer mehr Werken Alltag in der Fertigungsindustrie ist.
„Die menschenleeren Fabriken können die Betriebskosten um bis zu 25 Prozent senken, die Produktivität um bis zu 30 Prozent steigern und die Fehlerquoten um bis zu 40 Prozent reduzieren“, veranschaulicht Karlheinz Zuerl die höhere Wettbewerbsfähigkeit der asiatischen Industry‑5.0‑Produktion. Der GTEC-CEO hat einen Ratschlag für westliche Industrieunternehmen parat: „In Asien eine autonome Fabrik aufziehen, dabei lernen, wie es funktioniert, und dieses Konzept anschließend für die europäischen Werke übernehmen.“ Diese Vorgehensweise biete sich nicht etwa nur für Autohersteller an, sondern darüber hinaus für viele Maschinen- und Anlagenbauer. Bei der Errichtung einer autonomen Fabrik entfielen zwar etwa ein Drittel der Gesamtkosten auf Sensorik, Software und Infrastruktur, aber die höheren Investitionen machen sich nach Angaben von Karlheinz Zuerl schon im ersten Betriebsjahr allein durch die deutlich niedrigere Lohnsumme bezahlt. Hinzu käme die höhere Flexibilität, um auf Marktveränderungen zu reagieren, und das höhere Qualitäts¬niveau, was die Nachbesserungskosten senkt und die Kundenzufriedenheit steigert.