Kreislauf-Training für den Green Deal

Circular Economy: Wie Digitale Produktpässe das Möbelbusiness verändern

Für die großen Ziele der Ökode­sign-Verord­nung wer­den EU-weit Dig­i­tale Pro­duk­t­pässe (DPP) in allen Wirtschafts­bere­ichen zur Pflicht. Unternehmen der Wertschöp­fungs­kette eben­so wie Verbraucher:innen sollen kün­ftig genau nach­prüfen kön­nen, wie ein Pro­dukt beschaf­fen ist. Wobei die DPP-Dat­en nicht nur Kaufentschei­dun­gen bee­in­flussen und die nach­haltige Kreis­laufwirtschaft vere­in­fachen, son­dern auch neue Schlüs­selqual­i­fika­tio­nen und Geschäft­szweige im Möbel­busi­ness anstoßen kön­nen. Die „möbel kul­tur“ sprach mit Hein­er Strack, der als Experte der Möbelver­bände in Brüs­sel die Zukun­ft mitgestaltet.

Die Ein­führung der Dig­i­tal­en Pro­duk­t­pässe wurde beim DCC-Tre­f­fen im Novem­ber sog­ar als eine der größten Her­aus­forderun­gen beze­ich­net, die auf die Möbel­branche zukommt. Auch wenn noch Vieles unklar ist: Im Entwurf der europäis­chen Ökode­sign-Verord­nung (ESPR) ist das The­ma für alle Län­der ein­heitlich fest­geschrieben. Jet­zt fehlt es „nur“ noch an konkreten Details.

Hein­er Strack – Leit­er Tech­nik, Umwelt, Nor­mung beim VDM – ver­tritt die deutsche Möbel­branche bei der Ausar­beitung des Dig­i­tal­en Pro­duk­t­pass­es in Brüssel.

Die Time­line sieht vor, dass bis März‘23 entsch­ieden wird, zu welchen Pro­duk­t­grup­pen im ersten Arbeitspaket „Del­e­gat­ed Acts“ erlassen wer­den. Neben Bat­te­rien und Tex­til­bek­lei­dung beste­ht auch für Möbel die Aus­sicht, dass sie beim ersten Batch dabei sind (s. Timeline).

Quelle: EFIC-Work­ing Group Cir­cu­lar Econ­o­my 11.10.2022

So lautet die Ein­schätzung von Hein­er Strack, der die Ausar­beitung als Branchen­vertreter aktiv begleit­et. Bis die Verord­nun­gen endgültig greifen und Unternehmen zum Han­deln zwin­gen, wird es aber noch ein paar Jahre dauern, vielle­icht bis 2026/27. Bis dahin ist viel zu tun, wobei die einzel­nen The­men­felder eng verzah­nt mit dem europäis­chen Ver­band EFIC erar­beit­et wer­den. Hierzu­lande ist es der VDM, der sich wiederum mit AMK, VdDK, VdDP, VdDW, FVS bis hin zur DGM abstimmt. Das Dat­en Com­pe­tence Cen­ter (DCC) spielt eben­falls eine Schlüs­sel­rolle. Und auch der BVDM wird stel­lvertre­tend für den Han­del ein­be­zo­gen. Denn mit der Ökode­sign-Verord­nung wurde ein bre­it­er Rah­men gesteckt, der viel mehr als beispiel­sweise das Energieef­fizienz-Label Nach­haltigkeit und Kli­maschutz in den Fokus nimmt, mit hoher Verbindlichkeit für alle Bereiche.

Quelle: Lab of Rent

Nicht mehr Kaufen und Weg­w­er­fen, son­dern Pro­duk­ten eine län­gere Lebens­dauer oder gar ein „neues Leben“ in ander­er Form ermöglichen: Dafür ste­hen die soge­nan­nten R‑Strategien, für die Dig­i­tale Pro­duk­t­pässe kün­ftig die entsprechende Trans­parenz schaffen.

Ziele sind natür­lich der möglichst geringe Ressourcenver­brauch – nicht nur von Strom, Gas und Wass­er, sowie Ein­schränkun­gen der Weg­w­erf-Men­tal­ität, um Auswüchse wie bei der „Fast Fash­ion“- oder Retouren-Prob­lematik auszumerzen. Daraufhin wur­den die soge­nan­nten R‑Strategien entwick­elt. Für eine län­gere Lebens­dauer und entsprechende Wertschöp­fung gel­ten als Ker­nele­mente: „Rethink“, „Resell/Reuse“, „Repair“, „Refur­bish­ment“ und „Reman­u­fac­tur­ing“. Zur Ver­mei­dung von unnötigem, wom­öglich umweltschädlichem Abfall und zur Weit­er­ver­w­er­tung sind „Reduce“ beziehungsweise „Recyc­ling“ gefordert.

Daraus ergeben sich ver­schiedene Hand­lungs­felder für die Bere­iche Design, Einkauf, Pro­duk­tion, Ver­trieb oder Nutzung – die wiederum weitre­ichende Maß­nah­men bein­hal­ten, von der Ver­wen­dung von Rezyk­lat­en über die ver­stärk­te Reparier­barkeit von Pro­duk­ten bis zur Schaf­fung ein­er Infra­struk­tur zur Rück­nahme für eine zweite Nutzungsphase oder auch die Ein­führung von Miet­mod­ellen. „Das Pro­dukt vom Ende her denken“, sei ein­er der neuen Grund­sätze, wie Hein­er Strack betont. „Denn der Con­sumer ist mit sein­er Kaufentschei­dung der größte Hebel für nach­haltige Entwick­lun­gen.“ Nicht zulet­zt weil gängige Öko­la­bels auf­grund fehlen­der (überwachter) Stan­dards keine echte, authen­tis­che Trans­parenz liefern, bedeuten die Dig­i­tal­en Pro­duk­t­pässe (DPP) einen großen Schritt nach vorn. Voraus­ge­set­zt, sie sind gut zu han­deln und auch für die Käufer:innen leicht zu ver­ste­hen. Denkbar sind hier Sym­bol­kennze­ich­nun­gen nach dem Vor­bild von Ampel­sys­te­men oder Energieeffizienz-Label.

Bis es so weit ist, sind allerd­ings noch eine Menge offen­er Fra­gen zu klären. Welche Infor­ma­tio­nen kom­men über­haupt in den öffent­lichen und nichtöf­fentlichen Bere­ich? „Aus Sicht der Möbe­lin­dus­trie fehlt es auch noch an Struk­tur- und Prozessvor­gaben, wie zum Beispiel der Zugriff von anderen Mark­tak­teuren zur Weit­er­ver­ar­beitung der Orig­i­nal­her­steller-Dat­en stat­tfind­en soll,“ gibt Hein­er Strack zu bedenken. Dies sei ins­beson­dere für die beab­sichtigte Auf­bere­itung von Pro­duk­ten (Refur­bish oder Reman­u­fac­tur­ing) rel­e­vant. Neben dem Urhe­ber­schutz stellt sich dabei auch die Frage der Ver­ant­wortlichkeit und Haf­tung. Ger­ade wenn es um sicher­heit­stech­nis­che Funk­tio­nen geht. Hier komme es ger­ade bei Import­pro­duk­ten auf eine funk­tion­ierende Mark­tauf­sicht an, die die Ein­hal­tung in den einzel­nen EU-Staat­en überwacht.

Um den hohen Datenbe­stand wirtschaftlich angemessen und sich­er zu ver­wal­ten, ist eine dezen­trale Spe­icherung bei den Pro­duk­ther­stellern gegebe­nen­falls mit Ver­linkung auf beste­hende EU-Daten­banken geplant. Neben ein­heitlichen Daten­struk­turen sind dabei eben­so Own­er­ship (Eigen­tum­srechte, Urhe­ber­schutz) und Track­ing­möglichkeit­en (zur Rück­ver­fol­gung der Pro­duk­this­to­rie) zu klären.

Trotz der Mam­mu­tauf­gaben, die ins­beson­dere für kleinere Betriebe zur Her­aus­forderung wer­den, biete der DPP aber auch Chan­cen im Wet­tbe­werb. Zum einen weil die geset­zlich fest­gelegten Infor­ma­tion­spflicht­en zu besseren Nach­haltigkeitskenn­zahlen ans­pornen. Zum anderen weil mit ver­schärftem Anforderung­spro­fil an Import­pro­duk­te europäis­che Unternehmen wieder mehr von Heimvorteilen prof­i­tieren kön­nen, was überdies dem kli­mafre­undlichen Ziel der Region­al­isierung entspricht, ist Strack überzeugt. Außer­dem ver­ringert dies die Abhängigkeit von einzel­nen Beschaf­fungsmärk­ten (vor allem Low-Cost-Län­dern), wie sie derzeit bei Chips oder Medika­menten sicht­bar wird. Nach dem Mot­to „Trans­parenz belebt das Geschäft“ wird sich auch der Han­del seine Liefer­an­ten genauer anse­hen, ver­mutet Strack.

Noch inter­es­san­ter wird der EU-weit gepushte Bewusst­sein­swan­del mit Blick auf neue Geschäftsmod­elle: Wenn das Prinzip „Pro­duzieren – Weg­w­er­fen“ durch­brochen wird, weil beste­hen­den Pro­duk­ten neues Leben einge­haucht wird. „Diese Form des Upgrad­ings birgt für die Möbel­branche dis­rup­tive Möglichkeit­en“, sieht Hein­er Strack span­nende Per­spek­tiv­en voraus. Auch wenn es noch eine Weile dauert, bis die DPP-Verord­nun­gen ste­hen und greifen, lohne es sich für jedes Unternehmen schon jet­zt, sich auf die abse­hbaren Anforderun­gen einzustellen und mit Zukun­ft­sideen zu beschäfti­gen. Zumin­d­est kön­nen Betriebe schon damit anfan­gen, die Daten­struk­turen neu zu denken, den CO2-Abdruck als Para­me­ter einzubeziehen, Rezyk­late in die Pro­duk­te einzubauen und somit schrit­tweise Maß­nah­men im Sinne der Kreis­laufwirtschaft trainieren. Der Entwurf der Verord­nung gebe schon genug Hin­weise, wohin die Reise geht, betont Strack und emp­fiehlt, ger­ade weil auch Kosten- und Wet­tbe­werb­svorteile im Raum ste­hen: „Noch hat die Branche die Zeit und die Chance, vor der Welle zu surfen.“

Autorin: Heike Lorenz 

Auch wenn es noch ein paar Jahre dauert, bis die Dig­i­tal­en Pro­duk­t­pässe für die Möbel­branche zur Aus­führung kom­men – die Ker­nele­mente der EU-Verord­nung „Ecode­sign for Sus­tain­able Prod­ucts“ (ESPR) geben Hin­weise, wohin die Reise geht.

Quelle und Medienpartner:
Aus­gabe 01/2023