Softwarelandschaft in der deutschen Holzmöbelbranche

Studie zur Softwarelandschaft bei KMU-Möbelherstellern: Aktueller Stand und Potenzial – Teil 1

Küchen­pro­duk­tion bei der Schüller Möbel­w­erke KG Robot­erzuschnittsäge für auf­trags­be­zo­gene Bauteile

Die deutschen Her­steller von Holzmö­beln und Küchen haben eine starke Pro­duk­tion­spräsenz in Deutsch­land und sind weltweit für ihre hochw­er­ti­gen Pro­duk­te gefragt. Der glob­ale Wet­tbe­werb, ins­beson­dere die steigende Qual­ität, zwingt sie jedoch dazu, konkur­ren­zfähige, stärk­er indi­vid­u­al­isierte Pro­duk­te anzu­bi­eten. Daher wächst der Trend hin zur Mass Cus­tomiza­tion, bei der schnell und effizient eine Vielzahl von maßgeschnei­derten Pro­duk­ten pro­duziert wer-den müssen. Ein Beispiel hier­für ist etwa die Schüller Möbel­w­erke KG mit Sitz im mit­tel­fränkischen Her­rieden, die täglich 760 Küchen pro­duziert. Die derzeit­ige Pro­duk­tion erfordert somit 8000 Schränke bzw. 120.000 Einzel­teile in Los­größe 1 (LG1) – jeden Tag.

Dieser Drang nach Indi­vid­u­al­isierung er-fordert eine kom­plexe Umgestal­tung von Produktions‑, Mate­r­i­al- und Infor­ma­tions­fluss, um eine Los­größe-1-Pro­duk­tion ohne Lager­hal­tung zu ermöglichen. Die Tech­nis­che Hochschule Rosen­heim und SCHULER Con­sult­ing führten 2022/23 eine Studie durch, um her­auszufind­en, wie Unternehmen in der Möbel­branche ihre Soft­waresys­teme dazu nutzen, diese gesteigerte Kom­plex­ität zu bewälti­gen. Diese Studie beleuchtet die Prozesse und Soft­ware-Tools, die von ver­schiede­nen Unternehmen und Unternehmensgrößen in der Branche ver­wen­det wer­den und bietet Ein­blicke in die Zukun­ft der kun­den­spez­i­fis­chen Pro­duk­tion und Digitalisierung.

Spezifische Anforderungen für die wichtigsten Geschäftsprozesse – Abhängigkeiten von Geschäftsstruktur und Produkt

In einem typ­is­chen Möbel­pro­duk­tion­sun­ternehmen gibt es sechs Haupt­prozesse, deren Struk­tur und Soft­ware­funk­tio­nen von ver­schiede­nen Fak­toren wie dem Pro­duk­t­typ und der Unternehmensstruk­tur. Die “Soft­warepyra­mide” in Abbil­dung 1 zeigt, wie Mate­r­i­al- und Infor­ma­tions­flüsse in einem solchen Unternehmen ges­teuert werden.

Der erste Haupt­prozess, die Auf­trags­gewin­nung, begin­nt mit dem Ein­gang von Kun­de­naufträ­gen am Point of Sale (POS), woraufhin ver­schiedene Soft­waresys­teme wie Enter­prise Resource Plan­ning (ERP), Kon­fig­u­ra­toren und Com­put­er-Aid­ed Design/Manufacturing (CAD/CAM) Sys­teme zur Auf­tragser­fas­sung genutzt wer­den kön­nen. Diese Aufträge wer­den dann im ERP-Sys­tem ter­miniert und ver­fol­gt, wodurch fol­gende Prozesse wie etwa Bedarf­ser­mit­tlung & Einkauf und Finanzwe­sen ges­teuert wer­den. Schließlich überwacht das Man­u­fac­tur­ing Exe­cu­tion Sys­tem (MES) die Pro­duk­tion in Echtzeit und steuert den Mate­r­i­al- und Fer­ti­gungs­fluss über die Maschi­nen­daten­er­fas­sung (MDE) und Betrieb­s­daten­er­fas­sung (BDE). Abschließend wer­den die Haupt­prozesse Dis­tri­b­u­tion und Ser-vice meist über das ERP-Sys­tem ges­teuert. Im Kon­text der Möbelfer­ti­gung müssen also mehrere Soft­ware­mod­ule bzw. ‑pro­duk­te die sechs Haupt­prozesse zusam­men­spie­lend abdecken.

Die Geschäftsstruk­tur eines Unternehmens bee­in­flusst den Mate­r­i­al- und Infor­ma­tions­fluss ins­beson­dere bei der Auf­trags­gewin­nung je nach Art der Kun­den­in­ter­ak­tion. Unternehmen mit Pro­duk­tkat­a­lo­gen nutzen klas­sis­che Han­delssys­tem­soft­ware, während B2B-Unternehmen wie Laden­bauer nach dem “Kon­struk­tion­sprinzip” Pro­jek­te in enger Zusam­me­nar­beit mit dem Kun­den aus­führen. Im B2C-Bere­ich bieten z.B. Web­shops direk­ten Kun­denkon­takt. Die Wahl der notwendi­gen Soft­ware-Sys­teme hängt von den Anforderun­gen ab, die das Unternehmen z.B. an die Lager­hal­tung, ein MES, das Qual­itäts­man­age­ment, MDE, Touren­pla­nung, Auswer­tun­gen, Doku­menten­man­age­ment und Per­son­alver­wal­tung stellt.

Mate­r­i­al- und Infor­ma­tions­fluss hän­gen außer­dem von den Pro­duk­ten selb­st ab. Stan­dard­mö­bel ohne Vari­anten erfordern weniger Pla­nung, während vari­anten­re­iche oder indi­vidu­ell gestal­tete Möbel wie Küchen oder Büromö­bel meis­tens eine grafis­che Pla­nung benöti­gen, die ver­schiedene Merk­male wie Abmes­sun­gen, Dekor und mehr berück­sichti­gen kann. Dazu gehören CAD/­CAM-Sys­teme oder Kon­fig­u­ra­toren. Die Pro­duk­tion­sstrate­gie kann von Massen­pro­duk­tion bis hin zur Einzelfer­ti­gung vari­ieren, abhängig von der Teilekomplexität.

Es ist entschei­dend, die spez­i­fis­chen Unternehmen­san­forderun­gen zukun­fts­fähig zu berück­sichti­gen, etwa das Ver­hält­nis von Make-to-Order-Mod­ellen in LG1 zu Serien- bzw. Stan­dard­teil­pro­duk­tion auf Lager. Nicht außer Acht zu lassen ist dabei auch die vorherrschende bzw. ver­füg­bare Soft­ware­land­schaft. Die Menge der Soft­ware­an­bi­eter erfordert eine gründliche Analyse der vielfälti­gen Optio­nen, um die besten Lösun­gen für die spez­i­fis­chen Bedürfnisse zu finden.

Teilnehmer an der Studie – primär Möbel- und Küchenhersteller

Die Tech­nis­che Hochschule Rosen­heim und SCHULER Con­sult­ing führten im Zeitraum 2022–2023 eine Studie unter pro­duzieren­den, kleinen und mit­tel­ständis­chen Unternehmen (KMU) der Holzbranche durch, um Ein­blicke in deren Soft­ware­land­schaft und Pro­duk­tion­sstruk­turen zu gewin­nen. Es nah­men 35 Unternehmen mit 16 bis über 250 Mitar­beit­er (MA) teil.

Die größte Gruppe (29 Fir­men) war in der Kor­pus­mö­bel- und Küchen­pro­duk­tion tätig. Die meis­ten pro­duzierten Kor­pus­mö­bel aus Holzw­erk­stof­fen, einige boten auch Mas­sivholzpro­duk­te an. Etwa die Hälfte der Unternehmen operierte in bei-den Seg­menten, während einige sich auss­chließlich auf Küchen spezial­isi­er-ten und einige auch im Pro­jekt- oder Objek­t­geschäft tätig waren. Andere Pro­duk­t­grup­pen trat­en nur in Einzelfällen auf und wur­den daher der Ver­gle­ich­barkeit hal­ber im Fol­gen­den ausgenommen.

Die Unternehmen wur­den entsprechend ihrer Mitar­beit­erzahl in große (> 250 MA), mit­tlere (50 — 250 MA) und kleine Unter-nehmen (< 50 MA) eingeteilt. Zur Analyse der Pro­duk­tion­sstruk­tur wur­den sie nach der Größe ihrer Pro­duk­tion­slose in Bezug auf das End­pro­dukt befragt, wo-bei anteilig die Kat­e­gorien LG1 (1–10 Teile), Klein­serie (11–100 Teile) und Großserie (mehr als 100 Teile) berück­sichtigt wur­den. Die Unternehmen wur-den dann wiederum in ver­schiedene Kat­e­gorien eingeteilt, je nach­dem, ob sie haupt­säch­lich indi­vidu­elle Pro­duk­te, eher indi­vidu­elle Pro­duk­te mit gele­gentlichen Serien, eine Mis­chung aus indi­vidu­eller und Serien­pro­duk­tion oder haupt­säch­lich Großse­rien her­stell-ten (siehe Abbil­dung 2).

Die Stu­di­energeb­nisse zeigen eine klare Dom­i­nanz von indi­vid­u­al­isiert­er Pro­duk­tion in der Möbel- und Küchen­branche, über alle Unternehmensgrößen hin­weg. Beson­ders kleinere Unternehmen set­zen stark auf Indi­vid­u­alfer­ti­gung, während gemis­chte Pro­duk­tions­for­men mit Serien- und Indi­vid­u­alfer­ti­gung bei mit­tel-großen Unternehmen häu­figer vorkom­men. Großse­rien­fer­ti­gung hinge­gen wird vor allem von größeren Unternehmen betrieben.

Unter den betra­chteten Unternehmen wirken ver­mehrt große Unternehmen in der Küchen­her­stel­lung, während bei den Kor­pus­mö­bel­her­stellern mehr mit­tel-große und kleine Unternehmen vertreten sind. Mas­sivholzmö­bel wer­den hier vor-wiegend von kleinen und mit­tel­großen Unternehmen hergestellt.

In Bezug auf die Los­größen­struk­tur zeigt sich, dass die meis­ten Möbel- und Küchen­her­steller bere­its einen Großteil ihrer Pro­duk­te kun­den­be­zo­gen fer­ti­gen, ins­beson­dere bei Mas­sivholzmö­beln. Im Kor­pus­mö­belseg­ment ver­gle­ich­sweise häu­fig einzelne Serien­pro­duk­te pro­duziert, weniger ver­bre­it­et sind dabei großvo­lu­mige Stan­dard­teil­pro­duk­tio­nen wie bei RTA-Möbeln. Generell ist die kun­den-bezo­gene Fer­ti­gung aber auch hier weit verbreitet.

Aktuelle Softwarelandschaft – Branchenunterschiede erkennbar

Die durchge­führte Studie unter­suchte die Anwen­dung ver­schieden­er Soft­waresys­teme in pro­duzieren­den Unternehmen, wobei ein beson­deres Augen­merk auf der Pro­duk­tion in LG1 lag. Die Haupt­geschäft­sprozesse von der Auf­trags­gewin­nung bis zur Touren­pla­nung wur­den beleuchtet, um die einge­set­zten Sys­teme und deren Zusam­men­spiel zu ver­ste­hen. In der Auf­trags­gewin­nung wur­den unter­schiedliche Ansätze iden­ti­fiziert, wobei größere Unternehmen ten­den­ziell einen indi­rek­ten Kun­denkon­takt über Händler pfle­gen. Die Auf­tragsver­wal­tung erfol­gt in der Regel über ERP-Sys­teme, die in der Möbel- und Küchen­branche durchge­hend ver­bre­it­et und vielfältig aus­geprägt sind, mit ein­er hohen Band­bre­ite an möglichen inte­gri­erten Funktionen.

Ger­ade für die Möbel- und Küchen­branche sind viele Pro­gramme zur grafis­chen Pla­nung erhältlich, Kon­fig­u­ra­toren sind hinge­gen sel­tener. CAD/­CAM-Sys­teme wer­den weit ver­bre­it­et einge­set­zt, um NC-Pro­gramme für die Pro­duk­tion zu erstellen. MES-Sys­teme zur Pro­duk­tion­ss­teuerung find­en sich häu­figer in größeren Unternehmen. Die Ver­net­zung der Sys­teme zeigt noch deut­lich­es Poten­zial zur Reduzierung von manueller Datenverarbeitung.

Tief­ere Ein­blicke in die Soft­ware­land­schaft, welche Soft­waresys­teme ver­bre­it­et genutzt, welche Her­aus­forderun­gen und Poten­tiale für die Zukun­ft ge-sehen wer­den sowie ein Faz­it der Studie lesen Sie in der fol­gen­den Aus­gabe 1/24.

Der voll­ständi­gen Bericht über die Ergeb­nisse dieser Studie ist auf Anfrage erhältlich (Kon­takt: Prof. Dr. Hol­ly Ott, holly.ott@th-rosenheim.de).

Kon­takt

Max­i­m­il­ian Ruppelt

studiert Holztech­nik im Mas­ter an der TH Rosen­heim und schreibt seine The­sis über Pro-duk­tion­ss­teuerungssys­teme für hochvari­ante Produkte.

Klaus Fick­ler

ist seit über 25 Jahren bei SCHULER Con­sult­ing als Soft-ware-Experte tätig, wobei er sich vor allem mit Infor­ma­tions-flus­sop­ti­mierun­gen beschäftigt.

Prof. Dr. Hol­ly Ott

ist Pro­fes­sorin für Pro­duk­tions-man­age­ment und betriebliche IT-Sys­teme an der Fakultät für Holztech­nik und Bau der TH Rosenheim.

Die Autoren danken Michael Kat­tner, Thomas Wörs­dör­fer, Prof. Erwin Friedl und Prof. Dr. Oliv­er Kramer für ihre Unter­stützung bei der Erstel­lung der Studie.